Trägerlos – ein venezianisches Porträt und die Geschichte seiner Totalübertragung

Zum 6. Europäischen Tag der Restaurierung nimmt Sie das Doerner Institut in München mit in das Restaurierungsatelier. Restauratorin Ronja Emmerich erzählt hierbei die spannende Restaurierungsgeschichte eines kleinen venezianischen Porträts.

Das „Bildnis eines jungen Mannes“ (Inv. WAF 1151) wird derzeit im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts zur venezianischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts untersucht und konnte jüngst Bartolomeo Veneto (nachgew. 1502-1531) zugeschrieben werden. Der Blog-Beitrag erzählt die spannende Restaurierungsgeschichte des kleinen Porträts und berichtet, wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gemälde zur Wiederentdeckung eines für seine Deutung entscheidenden Bildelements führte.

Ein kleines Porträt mit einem Geheimnis

Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem Porträt um ein gewöhnliches Holztafelgemälde zu handeln. Doch bei genauerem Hinsehen fallen den geübten Betrachter:innen einige Dinge auf, die ungewöhnlich erscheinen. Die Tafel liegt vollständig plan, ohne den Ansatz einer Wölbung zu zeigen. Auch wirkt das tiefschwarze Gewand seltsam flach und lässt keine Faltenmodellierung erkennen. Und bis zur jüngsten Konservierung-Restaurierung des Bildchens im Vorfeld der Ausstellung „Venezia 500<<“ zogen sich diverse nachgedunkelte Retuschen horizontal durch das Gesicht des jungen Venezianers.

Abbildungen: Bartolomeo Veneto, Bildnis eines jungen Mannes aus der Familie Zane, um 1505, Leimholzplatte, von Holz übertragen, 40,4 × 32 cm, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv. Nr. WAF 1151. © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Foto Sibylle Forster

Restaurierungsgeschichten

Um erste Auffälligkeiten an einem Bild zu verstehen, werfen Restaurator:innen zunächst einen Blick in die Geschichte des Objekts. Restaurierungsprotokolle sind dabei eine wichtige Quelle, denn sie können helfen verdeckte Schäden und die Spuren früherer Maßnahmen zu erkennen. Das Doerner Institut verfügt über ein großes Restaurierungsarchiv mit zahlreichen Dokumenten, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. Von dem kleinen Porträt haben sich sogar Fotografien von einer Restaurierungsmaßnahme aus den 1930er Jahren erhalten. Zu dieser Zeit waren fotografische Dokumentationen noch eine Ausnahme, doch der außergewöhnliche Eingriff, den man an dem Tafelgemälde vollzog, rechtfertigte den zusätzlichen Aufwand…

Zwischenzustandsaufnahme während der Restaurierung 1936 nach Abnahme alter Übermalungen. © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Foto 1936

Gebrochen und übermalt

Auf den rund 90 Jahre alten SW-Fotografien, die während der Restaurierung 1936 angefertigt wurden, ist das Gemälde in einem stark beschädigten Zustand zu sehen. Zahlreiche Risse durchziehen die Bildfläche und sie ist von Fehlstellen übersät. Man hatte eine ehemalige, flächige Übermalung, mit der man die Schäden im 19. Jahrhundert verdeckt hatte, abgenommen und so war das ganze Ausmaß der Beschädigung sichtbar geworden. Besonders wegen quer verlaufender Brüche war die Tafel instabil und es bestand das Risiko eines „Totalschadens“. Um die Malerei dennoch zu erhalten, entschied man sich damals für den radikalen – historisch aber durchaus nicht unüblichen Schritt – die Bildschicht, also Grundierung und Malschicht, von der ursprünglichen Tafel abzulösen und auf einen neuen Bildträger zu übertragen.

Geschichte des Bildträgertransfers

Die Idee, den originalen Bildträger zu entfernen und durch einen neuen zu ersetzen, kam im 18. Jahrhundert auf. Man sah darin eine Möglichkeit die Malerei als wichtigsten Bestandteil eines Gemäldes zu erhalten, da die meisten Erhaltungsprobleme auf deren Bildträger, die Holztafel bzw. die Leinwand, zurückgeführt wurden. Heute weiß man, dass Bewegungen im Bildträger durch kontrollierte klimatische Bedingungen reduziert und so die Risiken für die Bildschicht minimiert werden können. Daher kommen Bildträgertransfers spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts nur noch in Ausnahmefällen vor. Für die Durchführung der Übertragung gab es historisch zwei konkurrierende Methoden. Bei der ersten wurde die Malschicht von vorne von der Tafel abgezogen. Die so „gerettete“ Malerei konnte dadurch neben der alten, von Holzwurm zerfressenen Tafel ausgestellt werden. Da bei dieser, die Sensationslust bedienenden Methode meist erhebliche Schäden an der Bildschicht verursacht wurden, setzte sich der als sicherer erachtete Ansatz durch, den alten Bildträger von hinten nach und nach abzuarbeiten, wobei zuvor die Malschicht von vorne durch eine aufgeleimte Papierschicht gesichert wurde. Es blieb die dünne Bildschicht, die dann auf einen neuen Bildträger aufgeklebt wurde. 1936, als das kleine Porträt auf seine neue Holztafel übertragen wurde, war dies die vorherrschende Herangehensweise. Allerdings war die Maßnahme zu dieser Zeit bereits umstritten und wurde nur als „Ultima Ratio“, als letzter Ausweg, angewendet.

Abb. 6: Schematische Darstellung eines Bildträgertransfers nach George L. Stout, The Care of Pictures, New York 1948, Neuaufl. 1975, Abb. 25, deutsche Beschriftung Ronja Emmerich

Abgetragen, aufgezogen, retuschiert

Die gebrochene Holztafel des venezianischen Porträts wurde von der Rückseite her abgetragen, bis nur noch die Grundierung übrig war. Für die Befestigung auf dem neuen Bildträger diente ein feines Gewebe als Zwischenschicht, das auf die freigelegte Grundierung geklebt wurde. Möglicherweise erfolgte zuvor noch ein neuer Grundierungsauftrag um die bei der Bildträgerabnahme gedünnte Schicht wieder auf ihre ursprüngliche Stärke „aufzufüllen“. Als neuer Bildträger wurde eine Leimholzplatte gewählt, da diese stabil gegen unerwünschte Verformungen ist. Bei Kittung und Retusche der zahlreichen Fehlstellen in der Malschicht war man um eine möglichst unauffällige Integration bemüht. So wurden in den quer durch das Gesicht verlaufenden Retuschen sogar das Craquelé – das für alte Gemälde typische, feine Sprungnetz – durch gemalte Linien imitiert.

Untersuchung mit Röntgenstrahlen

Die Anfertigung von Röntgenaufnahmen gehört seit vielen Jahrzehnten zu den gängigen Verfahren bei der kunsttechnologischen Gemäldeuntersuchung. Sie dient der Sichtbarmachung verborgener Konstruktionsdetails, malerischer Korrekturen oder Beschädigungen. Für das kleine Porträt ist die Aussagekraft jedoch eingeschränkt, da das Röntgenbild von der Struktur der modernen Leimholzplatte, auf die es übertragen wurden, bestimmt ist. Eine jüngere, ebenfalls mit Röntgenstrahlen arbeitende Methode, das Röntgenfluoreszenz-Imaging (berührungsfreie Elementanalyse mit Falschfarbendarstellung) liefert hier klarere Ergebnisse. In mehreren Elementverteilungsbildern konnte eine Stola sichtbar gemacht werden, ein breiter Stoffstreifen, den der junge Mann über der Schulter trug und mit seiner rechten Hand festhielt. Die Entdeckung dieses am Bild nicht mehr sichtbaren Details erklärt die bis dahin unnatürlich wirkende Haltung der Hand, die der Porträtierte vor seiner Brust beinah zur Faust zu ballen scheint.

Wer war nun der junge Venezianer mit den strahlenden blauen Augen?

Der goldene Ring, den der junge Mann an seiner rechten Hand trägt, zeigt ein auffälliges Siegel. Es lässt sich als Wappen der Zane identifizieren, einer der alteingesessenen Familien der venezianischen Oberschicht. Ein Anlass für den Auftrag zu diesem Porträt könnte die Aufnahme des jungen Mannes in den Großen Rat von Venedig (Maggior Consiglio) gewesen sein, in dem venezianische nobili wie er im Alter zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren politische Verantwortung übernahmen.

(Mehr zum sozialhistorischen Hintergrund in: Johanna Pawis, Neu in den Blick genommen: Tintoretto, Veneto und Giorgione. Entdeckungen aus dem Forschungsprojekt zur venezianischen Renaissancemalerei an der Alten Pinakothek, in: Venezia 500<<. Die sanfte Revolution der Venezianischen Malerei, Ausstellungskatalog, hg. v. Andreas Schumacher, München 2023, S. 128-153, 246-251, hier S. 132–136).

Zu sehen ist das Gemälde vom 27.10.2023 bis 04.02.2024 in der Ausstellung „Venezia 500<< Die sanfte Revolution der Venezianischen Malerei“ in der Alten Pinakothek in München.

Beitrag von…

Ronja Emmerich arbeitet seit 2021 als Projektrestauratorin am Doerner Institut, Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Dort ist sie zuständig für kunsttechnologische Tiefenuntersuchungen im Rahmen des Bestandsforschungsprojekts Venezianische Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts.

Credits: BAPCR Conference 2023, photo StillVision Photography

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