Blogbeitrag: Anlegung einer Musterachse zur Konservierung und Restaurierung der Raumausmalung der Lübecker St. Marienkirche mit Schadensaufnahme und Konzeptentwicklung
Ein Blogbeitrag von Anna Klüm
In den nächsten Jahren soll der Innenraum der St. Marienkirche umfangreich saniert und restauriert werden. Das Lübecker Atelier butt-restaurierungen legt derzeit eine Musterachse im Chor der Marienkirche an. Sie soll die Grundlage für die Konservierung und Restaurierung der Raumausmalung bilden. Exemplarisch werden hier die Schäden erfasst und Maßnahmen entwickelt.
Unumgänglich ist bei der Konzeptfindung auch die Beachtung der Restaurierungsgeschichte der Obergadenmalereien. Sie erweckten in den 1950er Jahren aufgrund des Fälscherprozesses gegen Malskat und Fey überregionales Interesse.
Die St. Marienkirche in Lübeck entstand in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in ihrer heutigen Form und wurde 1351 fertiggestellt. Der Kirchenbau veranschaulichte durch seine Größe die damalige Stellung der Hansestadt Lübeck im Ostseeraum. Noch heute ist die Marienkirche die drittgrößte Kirche in Deutschland und ihre Backsteingewölbe im Mittelschiff gehören mit 38,5 m Höhe zu den höchsten weltweit.
Am 28./ 29. März 1942 wurde die St. Marienkirche bei dem Luftangriff auf Lübeck teilweise zerstört. Einige Gewölbe stürzten ein, ein Großteil der Innenraumausstattung wurde Opfer der Flammen. Infolge des Brandes löste sich an den Wand- und Gewölbeflächen die weiße Kalktünche großflächig und die historische Ausmalung wurde in Teilen sichtbar.
Erste Sicherungen und Freilegungen der Malereien erfolgten bereits 1944. 1948- 52 wurden die Obergadenmalereien von Lothar Malskat, Dietrich Fey und Bernhard Dietrich- Dirschau restauriert. Auch die Gewölbe des Mittelschiffs wurden in dieser Zeit bearbeitet.
Infolge einer Selbstanzeige von Malskat wurden Fey und Malskat 1954 des gemeinschaftlichen Betruges überführt. Ihnen wurde vorgeworfen, die Malereien im Langhaus unsachgemäß freigelegt sowie großzügig übermalt zu haben und durch die Hinzufügung von 21 Figuren im Chor die Bezahlung für deren Restaurierung erhalten zu haben. Sie wurden zu 18 bzw. 20 Monaten Haft verurteilt. 1957 wurden die Malereien im Chor abgewaschen. Die weiteren restauratorischen Arbeiten an den Zwickelmalereien im Chor führte 1953- 59 der bayrische Restaurator Lothar Schwink aus.
1996 bis 2003 wurden die Obergaden- und Zwickelmalereien konserviert und restauriert, ein überregional besetztes Gutachtergremium begleitete die Arbeiten. 2018 wurden die Gewölbe über der Nordost Empore konserviert und restauriert. An beiden Maßnahmen waren Mitarbeiterinnen des Ateliers buttrestaurierungen beteiligt.
Das Konzept beider Maßnahmen sah den Erhalt des überlieferten Zustandes der Malereien vor. Die Restaurierung durch Malskat und Fey wurde als Bestandteil der Malereien akzeptiert und anerkannt. Eine Re-Restaurierung der Malereien und Freilegung der mittelalterlichen Malereioberflächen wurde bewusst nicht angestrebt. Alle übrigen Wand- und Gewölbeflächen wurden letztmalig in den 1950er Jahren bearbeitet.
Als Planungsgrundlage für die in den nächsten Jahren anstehende Gesamtrestaurierung der Raumausmalung soll eine Musterachse dienen. Im Sommer 2021 wird hierfür ein Joch im Chor ausgewählt und ein knapp 40m hohes Gerüst aufgestellt. Von diesem Standort aus können ein halbes Gewölbe, die oberen Wandflächen und Dienste, die abgewaschenen Obergadenmalereien sowie die Zwickelmalereien erreicht werden.
In exemplarischer Form werden hier die Wandund Gewölbemalereien begutachtet und Arbeitsmethoden sowie -materialien entwickelt und erprobt. Naturwissenschaftliche Analysen zur mittelalterlichen Malerei, der Malerei von Malskat sowie ausgewählten Schäden erfolgen begleitend.
Es bestätigte sich in dem nun eingerüsteten Bereich die bereits bei den Obergadenmalereien gewonnene Erkenntnis, dass nicht nur diese, sondern auch die gesamte Raumausmalung der Marienkirche in den 1950er Jahren umfassend von Lothar Malskat und Dietrich Fey bearbeitet wurden.
Die mittelalterlichen Malereien an den Gewölben wurden von Ihnen fotografisch dokumentiert, abgepaust und anschließend bereichsweise „beseitigt“. Danach erneuerten sie die Gewölbeausmalung unter Verwendung der Pausen und patinierten sie auf unterschiedliche Art und Weise. Sie imitierten z.B. mit einer Drahtbürste Freilegespuren, um einen freigelegten, mittelalterlichen Eindruck zu erwecken. Dadurch ist der Raumeindruck heute zwar der einer mittelalterlichen Kirche, jedoch entstammt die sichtbare Ausmalung der Nachkriegszeit. Fragmente der mittelalterlichen Ausmalung haben sich unterliegend erhalten.
Auf der Grundlage dieser Befunde wurde gemeinsam mit der Kirchengemeinde, dem begleitenden Architekturbüro, der restauratorischen Fachbauleitung sowie Vertretern der kirchlichen und staatlichen Denkmalpflege ein Konservierungs- und Restaurierungskonzept entwickelt.
Dies bewertet die Raumausmalung der 1950er Jahre als zu erhaltenden Bestandteil der gotischen Backsteinkirche.
In der aktuellen Musterachse werden entsprechende Maßnahmen erprobt und umgesetzt. Für einzelne Flächen werden verschiedene Varianten angelegt. Ihre Umsetzbarkeit soll nach erfolgter Abrüstung mit dem Betrachterabstand vom Kirchenboden beurteilt werden.
Anna Klüm, Restauratorin MA für Wandmalerei und Steinobjekte, Butt Restaurierungen